Meinungen
12.09.2024

Schweizer Finanzplatz unter dem Einfluss der Geopolitik

Rede zum Bankiertag von Dr. Marcel Rohner
 

 

Der Schweizer Finanzplatz wuchs im vergangenen Jahrhundert zu einem der weltweit führenden Finanzplätze heran, namentlich im grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft.  Auf den Ersten Weltkrieg folgten währungspolitisch instabilen Zeiten in Europa, während des Zweiten Weltkriegs war der Schweizer Franken die einzige international frei konvertible Währung. Daran schloss der Zeitraum von 1955 bis 1975 mit dem Kalten Krieg an. In allen drei Perioden wuchs der Schweizer Finanzplatz erheblich und entwickelte sich zu einem der wichtigsten Finanzzentren der Welt. Möglich gemacht hat das eine Kombination aus politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Faktoren, die in der jeweiligen spezifischen geopolitischen Lage begründet lagen.

All diese Zeiträume waren geprägt von grosser weltpolitischer Unsicherheit. In diesem Sinne ist die Ausgangslage heute ähnlich. Doch welches sind die Gemeinsamkeiten, welches die Unterschiede zu diesen historischen Gegebenheiten und was sind mögliche heutige Auswirkungen auf den Finanzplatz? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir uns mit Themen befassen, die weit über finanztechnische und finanzpolitische Aspekte hinausreichen. Denn die Prosperität des Finanzplatzes ist eng verbunden mit der Aussen- und Wirtschaftspolitik der Schweiz und ihrer Position in der Völkergemeinschaft.

Selbstverständlich gab es immer eine Vielzahl von Gründen, aus denen Vermögen in die Schweiz gebracht wurden. Wenn man sich aber vor Augen führt, was es braucht, dass begüterte Bürgerinnen und Bürger irgendeines Landes dieser Welt, einen wesentlichen Teil ihres Vermögens in ein fremdes Land, also beispielsweise in der Schweiz, bringen, dann wird klar, dass ein Grund herausragt: Das Vertrauen in die Sicherheit und Stabilität der Schweiz. Die Kundinnen und Kunden vertrauen darauf, dass ihr Eigentum in unserem Land physisch und rechtlich geschützt ist. Gleichzeitig drückt dies auch das Misstrauen in dieselben Eigenschaften im eigenen Land aus.

Sicherheit, Stabilität und Verlässlichkeit sind also die Kerneigenschaften, welche einen solchen Schritt grössten Vertrauens ermöglichen. Für den Finanzplatz ist es also entscheidend wie diese Qualitäten – Sicherheit, Stabilität, Verlässlichkeit - von den geopolitischen Ereignissen beeinflusst werden und wie sich die Schweiz international positionieren kann.

Was sind nun die Grundlagen dieser Sicherheit und Stabilität? Aus Sicht der Schweiz ergeben sich zwei Perspektiven: eine nach innen und eine nach aussen.

 

Sicherheit und Stabilität nach aussen

Sicherheit und Stabilität nach aussen bedeutet konkret, dass die Schweiz in keinen Krieg verwickelt wird und über stabile und verlässliche Handels- und Wirtschaftsbeziehungen verfügt.

Die bewaffnete Neutralität und möglichst freie Handelsbeziehungen waren in der Vergangenheit Grundlage für die Sicherheit und Stabilität. Die Neutralität hat die Schweiz über zwei Jahrhunderte aus bewaffneten Konflikten herausgehalten.

Durch die stetige Erweiterung und den Ausbau der WTO wurde der internationale Handel und die internationale Arbeitsteilung in den letzten Jahrzenten stark gefördert. Davon konnte insbesondere ein kleines, exportorientiertes Land wie die Schweiz stark profitieren.

Doch wie sieht die Lage heute aus?

In seinem Gastkommentar in der Neue Zürcher Zeitung vom 20. Juni dieses Jahres, hat Alt-Bundesrat Kaspar Villiger die Situation prägnant zusammengefasst: 

«Eine einigermassen stabile Sicherheitsordnung liegt in Trümmern, eine neue ist nicht in Sicht. Der Ukraine-Krieg ist dafür das schreckliche Symbol. Die derzeitige geopolitische Lage wird von einer epochalen Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie sowie Recht und Macht bestimmt.»

Diese Umstände beeinflussen auch die Schweizer Neutralitäts- und Handelspolitik nachhaltig.

Neutral zu sein ist für eine Nation nach wie vor am einfachsten, wenn sie selber unabhängig und stark ist. Allerdings sind wir als kleine, offene Volkswirtschaft alles andere als unabhängig und mit einer Armee, die aus heutiger Sicht erst in einem Jahrzehnt die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz wieder sicherstellen kann, auch nicht wirklich stark.

Um zu bestimmen, wie dies unsere Handelsoptionen heute beeinflusst, kann man die Frage umkehren und sich fragen, wo für die Schweiz kritische Abhängigkeiten liegen.

Versorgung

Die Schweiz hat die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln schon vor Jahrzenten aufgegeben. Im Bereich der Energieversorgung ist mit der Energiestrategie 2050 eine substanzielle Auslandabhängigkeit von bis zu 25% des Bedarfs sogar eingeplant.

Handel und Finanzen

Im Handel und Export ist die Schweiz auf verlässliche supranationale Institutionen wie die WTO, Schiedsgerichte, etc. angewiesen, damit sie als kleines Land ihre Rechte wahrnehmen und durchsetzen kann.

Der Welthandel wird nach wie vor hauptsächlich in USD abgewickelt. Damit ist die Realwirtschaft darauf angewiesen, dass ihre Finanzdienstleister Zugang zum Doller Clearing System haben, um ihre wirtschaftlichen Transaktionen abwickeln zu können. Während ein Exportunternehmen notfalls auf einen ausländischen Anbieter ausweichen kann, ist diese Abhängigkeit für die Schweizer Banken direkt, unausweichlich und damit existentiell.

Sicherheit

Mit Ausbruch des Ukraine-Krieges mussten wir in unerwarteter und entlarvender Weise erkennen, was wir politisch schon lange ausdrücklich in die Wege geleitet haben: Wir sind nicht mehr verteidigungsfähig. Fände ein Angriff auf dem Landweg statt, könnten wir uns wohl hinter der Nato verstecken, da wir mit Ausnahme von Österreich von Nato-Ländern umgeben sind. Bei hybrider Kriegsführung oder gar einem Angriff aus der Luft, ist die Situation bereits nicht mehr so klar, obwohl im letzteren Fall wohl wiederum Nato-Luftraum verletzt würde und mit einer entsprechenden Reaktion zu rechnen wäre.

Sicherheits- und Militärexperten können diese Situation besser einschätzen als ein Bankier. Als sicherheitspolitischem Laien scheint es mir aber einigermassen klar, dass wir in den kommenden zwei bis drei Dekaden von der europäischen und transatlantischen Verteidigungsfähigkeit abhängig sind, falls es zu einem Angriff von aussen auf ein Mitglied der EU und oder Nato kommen sollte.

Um eine glaubwürdige Neutralitätspolitik weiterzuführen, muss die Schweiz diese Abhängigkeiten so weit wie möglich minimieren. Dies innerhalb der neuen geopolitischen Realitäten, wie sie von Kaspar Villiger so treffend zusammengefasst wurden.

Damit wir innerhalb der verbleibenden Abhängigkeiten maximalen Spielraum erhalten können, müssen wir uns als Schweiz überlegen, was wir selbst schultern sollten und wo wir allenfalls Beiträge leisten könnten, damit uns unser politischer Spielraum erhalten bleibt. Die Neutralität ist nur dann effektiv, wenn sie von unseren Nachbarn, Freunden und Widersachern anerkannt wird und wir bereit und fähig sind, unseren neutralen Raum auch zu verteidigen. Werden wir als eines der reichsten Länder der Welt als Trittbrettfahrer wahrgenommen, wird es diese Akzeptanz nicht geben. Dies verlangt einen komplizierten politischen Hochseilakt, dessen Gelingen wahrscheinlicher ist, wenn wir auch etwas zu bieten haben. Mögliche Handlungsfelder könnten folgendermassen aussehen:

Energie

In einer Welt der eingangs beschriebener geopolitischer Verwerfungen ist es für ein unabhängiges neutrales Land inakzeptabel, energiepolitisch auf Gedeih- und Verderb vom Ausland abhängig zu sein. Eine verlässliche Energieversorgung ist für unsere Sicherheit und Stabilität existentiell. Ich rede nicht von Autarkie oder von Abschottung, und natürlich sind wir im Stromnetz integrierter Teil von Europa. Aber wir hätten als Schweiz die Chance, uns zur Batterie für Europa zu machen. Wir könnten mit CO2-freier Kernkraft und unseren Stauseen für Europa die Bandenergie und Energiespeicher liefern, um die Energiewende zu unterstützen. Wir würden dabei unseren eigenen Energiebedarf möglichst selber decken und hätten wohl eine ungleich bessere Ausgangslage in den Verhandlungen mit der EU.

Diversifizierter Welthandel

Angesichts einer zunehmend wirkungslosen WTO, einer Häufung protektionistischer Massnahmen und immer häufiger verhängten Strafzöllen oder gar Sanktionen, sollte ein kleines Land geographische Konzentrationsrisiken so weit wie möglich vermeiden. Diversifikation ist das Gebot der Stunde. Bilaterale Freihandelsverträge sind das wohl effektivste Mittel, um freien Zugang zu alten und neuen Märkten zu erhalten und um dauerhafte Partnerschaften aufzubauen. Wir sollten so viele wie möglich davon abschliessen.

Der Umgang mit Sanktionen ist für ein neutrales Land ein komplexes Thema. Aufgrund der existentiellen Dollar-Abhängigkeit war und ist für die Schweizer Banken immer klar, dass vom US-amerikanischen OFAC ausgesprochene Sanktionen übernommen werden müssen. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von weiteren Sanktionsregimen, mit denen die Schweiz konfrontiert wird. Die SBVg hat deshalb bereits im Jahr 2023 in einem Positionspapier in fünf Punkten einen systematischen und berechenbaren Umgang mit Sanktionen gefordert. Die Schweiz kann und muss sich in dieser Thematik proaktiver positionieren, um einen völlig passiven autonomen Nachvollzug teilweise problematischer und widersprüchlicher Massnahmen zu vermeiden.

Eine starke und glaubwürdige Armee

Wir können unsere Verteidigungs- und Militärpolitik nicht auf der Annahme aufbauen, dass uns unsere direkten Nachbarn kaum angreifen werden. Wenn es von aussen zu einem Angriff auf Europäisches Territorium und insbesondere auf einen unserer Nachbarn kommt, werden wir in vielfältiger und nicht vorhersehbarer Weise in diesen Konflikt miteinbezogen sein. Wir werden im Minimum unser Land und seinen Luftraum zuverlässig schützen können müssen. Und für den schlimmsten Fall wissen wir, auf welcher Seite wir stehen. Dies muss für alle Staaten und insbesondere für unsere Nachbarn unmissverständlich klar sein. Nur so wird unsere bewaffnete Neutralität die notwendige Akzeptanz finden. Nur so werden wir als verlässlich eingestuft und entsprechend sicher sein.

 

Sicherheit und Stabilität im Innern

Politische und wirtschaftliche Stabilität, Schutz des Eigentums und Rechtssicherheit sind aus Sicht des Finanzplatzes die entscheidenden Grundlagen für ein erfolgreiches grenzüberschreitendes Vermögensverwaltungsgeschäft und für ein effizientes Bankensystem für die Schweiz.

Politische und wirtschaftliche Stabilität

Föderalismus und Subsidiarität, direktdemokratische Mitbestimmung in vielen Fragen auf allen Ebenen des Staates sowie das Konkordanzprinzip haben uns in der Vergangenheit vor abrupten politischen Richtungswechseln bewahrt und werden es auch in Zukunft tun. Wir sollten diesen politischen Institutionen und Prinzipen grösste Sorge tragen.

Unsere wirtschaftliche Stabilität baut auf der politischen auf, und ist darüber hinaus den ausserordentlich vorteilhaften Standortfaktoren geschuldet. Ein liberales Arbeitsmarktrecht, föderalistische Steuerkonkurrenz, ausgezeichnete Bildungseinrichtungen – das sind einige besonders wichtige von vielen Faktoren, die eine prosperierende Wirtschaft ermöglichen. Diese Prosperität finanziert den Wohlfahrtsstaat und konstituiert eine Soziale Marktwirtschaft, die wiederum politische Stabilität fördert. Wir sind gut beraten, an diesen Ästen, auf denen wir so komfortabel sitzen, nicht zu sägen.

Schutz des Eigentums

Auf den verlässlichen Schutz des Eigentums müssen sich unsere ausländischen Kundinnen- und Kunden immer verlassen können. Bestrebungen und Initiativen zur Einführung konfiskatorischer Steuern stellen diesen Schutz grundsätzlich in Frage. Konfiskationen aufgrund von Sanktionen gesperrter Vermögen ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren und Anwendung von geltendem Recht, negieren unser ganzes Rechtssystem und damit die Grundlage unserer freien Gesellschaft.

Es ist nicht nur für den Finanz- und Bankenplatz matchentscheidend, dass auch künftig bezüglich der Stellung und des Schutzes des Privateigentums in unserem Land keinerlei Zweifel offengelassen werden.

Verlässliche und berechenbare Regulierung

Das Banken- und Währungssystem ist aus guten Gründen ein regulierter Markt. Es hat mit dem Währungs- und Notenmonopol einen staatlichen Anker. Das über die angeschlossenen Geschäftsbanken zweistufige Finanzsystem, wurde zur Kreditversorgung und Umsetzung der Währungspolitik bewusst so konstruiert und ist ein vertrauensbasiertes System.

Deshalb braucht es vertrauensbildende Regulierungen bezüglich Eigenkapital, Liquidität, Kundenidentifikation und zur Vermeidung von Geldwäscherei, ergänzt durch eine Vielzahl von weiteren Verhaltensregeln. Selbstverständlich muss diese Schweizer Regulierung international anerkannt sein.

Unsere Banken erfüllen diese Regeln nicht nur, sie übertreffen sie in vielen Fällen bei weitem. Einzelne Verstösse und Verfehlungen sollen geahndet aber nicht verallgemeinert werden.

Die Behörden haben mit ihrem schnellen und beherzten Eingreifen in der Krise der Credit Suisse den Finanzplatz innert kürzester Zeit stabilisiert. Diese Verlässlichkeit und Determiniertheit haben international viel Goodwill geschaffen. Es wäre fatal, wenn auf dieses so zielgerichtete und effiziente Handeln nun eine Regulierungswelle folgt, die weit über das Ziel hinausschiesst und mit dem Fall Credit Suisse in vielen Aspekten nichts zu tun hat.

Die Krise vom März 2022 und der Fall der Credit Suisse geben gewiss dazu Anlass, die richtigen Lehren daraus zu ziehen. Und es gibt Massnahmen und Anpassungen, die den Entwicklungen in den internationalen Finanzmärkten Rechnungen tragen und unser Bankensystem für die Zukunft sicherer machen. Diese sollten wir vornehmen und rasch umsetzen. Den Finanzplatz, der für unser Land so wichtig ist, mit einer unverhältnismässigen Regulierungswelle zu schwächen, wäre dagegen eine kontraproduktive Überreaktion.

Der künftige Erfolg des Schweizer Finanzplatzes ist in die Aussen-, Wirtschafts- und Standortpolitik eingebettet. Entscheide und Antworten zu Fragen und Themen, die weit vom Bankenalltag entfernt liegen, werden unsere künftige Prosperität stark beeinflussen.

Vieles, was wir als fix vorgegeben und unumstösslich gehalten haben, hat sich in kürzester Zeit verändert, ins Gegenteil verkehrt oder in Luft aufgelöst. In dieser dynamischen und schwer vorhersehbaren Welt müssen wir uns weise und umsichtig bewegen. Wir haben alles, was es dazu braucht.

WirtschaftPolitik

Links & Dokumente