Finanzstabilität: Die SNB mit Mahnfinger und neuer Offenheit
Social Bookmarks
Paukenschlag am Donnerstag: Mit der ersten Zinserhöhung seit 15 Jahren hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Märkte überrascht. Damit ist die geldpolitische Normalisierung nun auch in der Schweiz eingeleitet worden. Die SNB setzt mit der Zinserhöhung ein wichtiges und richtiges Zeichen für die Wirtschaft und weist auf weitere mögliche Zinsschritte hin.
Gleichentags veröffentlichte die SNB ihren jährlichen Finanzstabilitätsbericht. Dabei wird klar, dass die Zinswende nur ein Faktor in einem von zahlreichen Unsicherheiten geprägten Umfeld ist. Ein stabiles Finanzsystem ist heute besonders wichtig.
Stabile Banken, andere Risiken von SNB ausgeblendet
Das Gute vorweg: Die SNB erachtet die beiden Grossbanken als resilient, um im herrschenden Umfeld auch mit den Risiken aus dem Ukrainekrieg gut umgehen zu können. Auch die inlandorientierten Banken stehen solid da. Ihre Kapitalpuffer sind auch in verschiedenen Risikoszenarien adäquat, um Verluste abzufedern. Zudem dürfte sich ihre Ertragslage mit der ansteigenden Zinskurve gegenüber den vergangenen Jahren verbessern.
Alles stabil also, sollte man meinen. Alles? Ausgabe für Ausgabe fokussiert der Bericht der SNB nur auf Banken. Andere potenzielle Risikoquellen für die Systemstabilität blendet die SNB aus, während renommierte internationale Gremien wie das Financial Stability Board gerade hier die Lage zu verstehen versuchen und Risiken verorten. Wir tappen beispielsweise weitehrhin im Dunkeln, wie es in der Schweiz um die Stabilitätsrelevanz von Finanzdienstleistungen von Nichtbanken steht.
Anlagetipps und Risikosteuerung der SNB im Immobilienmarkt
Ebenfalls seit Jahren macht uns die SNB auf die anhaltend hohen Risiken am Immobilien- und Hypothekarmarkt aufmerksam. In einer Art Anlagetipp quantifiziert die SNB die Überbewertung des Immobilienmarkts gegenüber dem durch Fundamentalfaktoren erklärten Preisniveau mit rund 10 bis 35 Prozent. Der Zinsentscheid der SNB dürfte nun namentlich im Segment der zinssensitiven Renditeliegenschaften für etwas Bewegung sorgen.
Anlässlich der Medienkonferenz der SNB zu ihrer geldpolitischen Lagebeurteilung gab Vizepräsident Fritz Zurbrügg aber Entwarnung. Ein solcher Zinsschritt werde nicht zu einem Preiszusammenbruch führen, sondern dürfte die Risiken im Immobilienbereich sogar dämpfen. Im Umkehrschluss wird klar, dass die langjährige Tiefzinspolitik der SNB die Immobilienpreise mitbefeuert hat, die Banken aber die Lasten der in der Folge verschärften makroprudenziellen Auflagen schultern mussten.
So haben die Banken ihre Risiken basierend auf der per 2020 verschärften Selbstregulierung der Schweizerischen Bankiervereinigung massgeblich reduziert. Der Anteil neuer Hypotheken für Renditeliegenschaften mit einer Belehnung über 75% ist im vergangenen Jahr allein um gut ein Drittel gesunken.
Neue Offenheit der SNB?
Dennoch bleibt die Einschätzung der SNB zu den Risiken in den Bereichen Tragbarkeit und Bewertung weitgehend unverändert. Bemerkens- und lobenswert ist jedoch, dass sie nun expliziter auf die Grenzen ihrer Risikoeinschätzung hinweist.
So relativiert sie ihre Schätzung beim selbstgenutzten Wohneigentum mit Hinweisen auf die Pandemie-bedingte Nachfrageverschiebung hin zu mehr Wohnraum und auf das in der Schweiz knappe Angebot. Noch bedeutender ist die implizite Feststellung, dass die Analyseinputs nur eine Annäherung an die tatsächlichen Risiken erlauben. Die Aussagekraft der SNB-Analyse u.a. zur Tragbarkeit ist auch insofern eingeschränkt, dass nur das Einkommen des Hypothekarschuldners berücksichtigt, allfällig vorhandenes Vermögen aber ausser Acht gelassen wird. Die SNB stellt dazu selbst fest: «In reality, borrowers may have substantial additional financial resources, which could have implications for financial resilience.»
Diese neue Offenheit der SNB zur breiteren Anerkennung relevanter Faktoren, auf welche die Branche regelmässig hingewiesen hat (vgl. Artikel), ist begrüssenswert. Gerade darum lässt uns jedoch die Ankündigung der SNB, derzeit weitere regulatorische Massnahmen zu prüfen, ratlos zurück.
Vor dem Hintergrund der erwähnten Risikoreduktionen, der Leitzinserhöhung, der kürzlich erfolgten Reaktivierung und Erhöhung des Antizyklischen Kapitalpuffers (AZP) sowie der näher rückenden Umsetzung von Basel III Final fällt eine derartige Ankündigung völlig aus dem Rahmen. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese neue Offenheit auch in der Evaluation von Regulierungsbedarf niederschlägt.