Fundamentaler Wandel braucht Zeit – und stabile Rahmenbedingungen
Von Erol Bilecen, Leiter Sustainable Finance der Schweizerischen Bankiervereinigung
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Die Schweizer Banken haben verstanden, dass das Thema Nachhaltigkeit im Allgemeinen und die Bekämpfung des Klimawandels im Besonderen keine blosse Compliance-Übung bedeuten, sondern eine langfristige Sicherung ihrer Geschäftsgrundlage gewährleisten. Veränderte Niederschlagsmuster oder eine wesentliche Zunahme von Hitzetagen stellen signifikante finanzielle Risiken und höhere Kosten dar und sind daher für Unternehmen und damit auch für Banken von hoher Relevanz. Darüber hinaus hat der Finanzsektor erkannt, welches wirtschaftliche Potenzial in diesem notwendigen Umbau der energetischen Basis unseres Wohlstandes und dem Schutz der Ökosysteme steckt. Obwohl der Schweizer Finanzplatz weniger als ein Prozent zu den direkten schweizerischen Treibhausgasemissionen beiträgt, können die Banken aufgrund ihrer spezifischen wirtschaftlichen Funktionen auf verschiedenen Ebenen einen wichtigen Beitrag für die Transformation der Realwirtschaft leisten.
Beispielsweise stellen sie Kapital für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien oder innovativen Unternehmen, die sich auf Klimalösungen konzentrieren, zur Verfügung. Sie integrieren zunehmend Umwelt-, Sozial- und Governance-(ESG-)Kriterien in Kreditentscheidungen. Dieses erweiterte Risikomanagement erhöht ihre Widerstandsfähigkeit und nutzt gleichzeitig Sparerinnen und Sparern. Auf dem Feld des Investierens thematisieren Schweizer Banken im Gespräch mit Kundinnen und Kunden die Sinnhaftigkeit, ESG-Kriterien bei Anlageentscheidungen über rein finanzielle Aspekte hinaus zu integrieren. Und die Schweizer Assetmanager bieten entsprechende nachhaltige Anlagelösungen. Sie sind sogar die grössten Anbieter von besonders nachhaltigen Anlagefonds (Art. 9) in Europa.
Gut gemeint ist manchmal das Gegenteil von gut gemacht
Es besteht allerdings kein Grund sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Das liegt vor allem an zwei Fehlentwicklungen: einer in vielen Teilen der Welt mit heisser Nadel gestrickten, sehr detaillierten Regulierung von Sustainable Finance sowie einer Fokussierung auf die Finanzbranche als vermeintlichem Schlüssel zur Lösung aller Nachhaltigkeitsprobleme. Aufgrund der Grösse der Herausforderung und der Trägheit des Umbaus der Wirtschaft scheint sich in den letzten Jahren in der Politik eine grosse Nervosität breit zu machen, obwohl sie zur Verschärfung des Themas selbst beigetragen hat. Bereits 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft mit dem Kyoto-Protokoll auf die Notwendigkeit eines globalen Kurswechsels geeinigt. Es sollte aber bis zum Pariser Abkommen 2015 nochmals ein Drittel des «Bremsweges» hin zur Netto-null im Jahr 2050 fast ungenutzt verstreichen, in denen die jährlichen globalen Treibhausgasemissionen von 24,4 Gigatonnen auf knapp 35,4 Gigatonnen angestiegen sind.
Die erste Fehlentwicklung ist der hektische Griff in den Regulierungskasten. Mit dem «Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums» der EU entstand in kurzer Zeit ein hochkomplexes Regelwerk, das nicht in sich abgestimmt war und aufgrund des Umfangs und Detaillierungsgrades viele Praktiker ratlos machte. Der sogenannte Draghi-Bericht vom September 2024 kommt denn auch zum Ergebnis, dass wesentliche Teile der heutigen EU-Regulierung eine grosse Belastung für die Unternehmen darstellen, die durch fehlende Leitlinien und mangelnde Klarheit in Bezug auf die Interaktion zwischen den verschiedenen Rechtsvorschriften für nachhaltige Finanzen noch verschärft wird.
Dieser durch die EU-Kommission ausgelöste «globale Regulierungs-Tsunami» erfasste in der Folge viele andere Finanzmärkte, so auch die Schweiz. Immerhin wird hier noch sehr umsichtig und prinzipienbasiert vorgegangen. Beispielsweise hat der Bundesrat vergangenes Jahr vorläufig auf die Einführung einer staatlichen Regulierung auf Verordnungsstufe verzichtet, weil er die Selbstregulierungen der Finanzbranche als geeignet ansieht, seinen Standpunkt bezüglich Greenwashing-Prävention im Finanzsektor abzubilden.
Die zweite Fehlentwicklung ist die momentane Fokussierung auf die Finanzbranche als vermeintlichen Schlüssel zur Lösung aller Nachhaltigkeitsherausforderungen. Das Pferd wird von hinten aufgezäumt, denn Treibhausgasemissionen müssen in erster Linie direkt durch Massnahmen bei den emittierenden Aktivitäten angegangen werden. Anforderungen an und Massnahmen von Banken wirken immer lediglich unterstützend.
Was es wirklich braucht
Was müsste aus Sicht der Banken geschehen, dass sie ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung effektiv leisten können? Generell sind ein dynamisches, marktwirtschaftliches Umfeld sowie die richtigen politischen Rahmenbedingungen unabdingbar. Nur so können notwendige Innovationen freigesetzt und die Internalisierung von externen Kosten sichergestellt werden. Konkret bedarf es eines rollengerechten Zusammenspiels aller Wirtschaftsakteure – neben der Politik und der Finanzwirtschaft auch der Unternehmen der Realwirtschaft. Marktwirtschaftliche Lösungen sind grundsätzlich staatlichem Handeln vorzuziehen. Es braucht eine gezielte, möglichst einfach ausgestaltete Einpreisung von Externalitäten in realwirtschaftliche Tätigkeiten, insbesondere in der Form von Abgaben auf Treibhausgasemissionen, deren Einnahmen zur Vermeidung von unerwünschten Verteilungseffekten wieder rückerstattet werden sollten.
Im Falle von Regulierung sollte die damit verbundene Bürokratie ausserdem so schlank wie möglich gehalten werden. Das kann durch eine proportionale und stets prinzipienbasierte Ausgestaltung geschehen, durch die Vermeidung von Widersprüchen oder Doppelspurigkeiten mit rechtlichen Referenzrahmen anderer Jurisdiktionen sowie die Fokussierung von Berichtspflichten auf das absolut notwendige Minimum an Datenpunkten, beispielsweise auch durch die Publikation von manchen Daten nur alle zwei Jahre. Schliesslich bedarf es einer ruhigen Hand. Sind Regulierungen erst einmal in Kraft getreten, muss diesen Zeit gegeben werden ihre Wirkung zu entfalten.
Die Schweizer Banken rüsten sich für die Herausforderungen durch den Klimawandel und können einen wichtigen Beitrag zu dessen Bekämpfung leisten. Auch das Thema Biodiversität, das sich am Horizont abzeichnet, befindet sich schon auf deren Radar. Damit durch das Kapital effektive ökologische Verbesserungen («Impact») in der realen Welt erzielt werden können, braucht es aber Anpassungen in der aktuellen Herangehensweise – weg von Planwirtschaft und Detailregulierung, hin zu klaren marktwirtschaftlichen Signalen, Planungssicherheit für Unternehmen sowie Geduld auf politischer Seite.