«Alles soll auf den Tisch»
Ein Dialog für mehr Akzeptanz: Das Projekt «Wir, die Wirtschaft. 58 für die Schweiz» soll das gegenseitige Verständnis von Gesellschaft und Wirtschaft fördern. Die Initiantin des Dialogs, Heike Scholten erklärt, warum es den verstärkten Austausch braucht und was konkret geplant ist.
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Frau Scholten hat die Wirtschaft Redebedarf oder ist sie in Erklärungsnot?
Heike Scholten: Erklärungsnot geht zu weit. Redebedarf ja. Schliesslich leben wir in einer direkten Demokratie und da geht es im Kern darum, dass wir die Regeln des Zusammenlebens miteinander aushandeln. Reden und zuhören sind dafür das A und O. Um einen Konsens zu finden, müssen wir Argumente austauschen, Zahlen und Fakten wälzen, sie einordnen und interpretieren. Das gilt für Anliegen, die das Wirtschaftsleben betreffen wie für alle gesellschaftlichen Interessen. Schliesslich sind «die Wirtschaft» wir alle. Jede und jeder von uns trägt zur Wirtschaft bei und lebt von ihr. Doch die Unternehmen in ihrer Rolle als Takt-, Auftrag- und Arbeitgeber im Wirtschaftssystem haben dabei eine besondere Verantwortung. Ihre Bedürfnisse und ihre Logik müssen von ihnen vermittelt werden. Nur dann besteht eine Chance, dass die Öffentlichkeit das Handeln der Unternehmen in der Schweiz und in anderen Ländern versteht und akzeptiert. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, in Zeiten von globalen Umwälzungen und Krisen umso mehr.
Was ist das Anliegen von «Wir, die Wirtschaft. 58 für die Schweiz»?
Es steht die These im Raum, die Bevölkerung werde zunehmend wirtschaftskritischer. Als Indiz dafür werden vor allem Abstimmungsresultate zu wirtschaftspolitischen Vorlagen wie beispielsweise das äusserst knappe Nein zur Konzernverantwortungsinitiative oder die Ablehnung von verschiedenen Steuervorlagen ins Feld geführt. Abstimmungsergebnisse sagen jedoch nicht alles. Wir wollen den Menschen zuhören und ihre Beweggründe erfahren. Bei «Wir, die Wirtschaft. 58 für die Schweiz» interessiert uns das «Warum». Keine Bubble, keine Schonung. Alles soll auf den Tisch.
Warum haben sie 58 Menschen ausgewählt und nach welchen Kriterien setzt sich die Gruppe zusammen?
Die 58 repräsentieren eine Mini-Schweiz. Die Zahl entspricht der Anzahl Mitglieder des Ständerates plus anteilig Einwohnerinnen und Einwohner ohne Schweizer Pass. Die Beteiligten kommen aus allen Sprachregionen, Berufszweigen und Lebenslagen. Sie vertreten die Schweiz im Kleinen. Am Dialogtag, der am 13. Mai in Zürich stattfindet, diskutieren zum ersten Mal 58 repräsentativ ausgewählte Menschen aus der ganzen Schweiz an einem Ort und Tag wirtschaftspolitische Themen.
Welche Themen werden konkret diskutiert?
Wir debattieren in drei nacheinander folgenden Blöcken Fragen zu den Themen Wirtschaft und Welt, Wirtschaft und Umwelt sowie Wirtschaft und Staat. Wir wollen hören, wie weit die wirtschaftliche Offenheit der Schweiz gegenüber der Welt, anderen Ländern gehen soll. Wo werden in der Globalisierung Chancen, wo Risiken gesehen und für wen? Im Kontext von Wirtschaft und Umwelt wird es um Ressourcen- und Infrastrukturfragen gehen: Wie soll der Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft aussehen? Was soll die Rolle der Unternehmen sein und die der Konsumentinnen und Konsumenten? Im Block Wirtschaft und Staat stehen die zukunftsfähige Gestaltung der Sozialwerke im Zentrum und die öffentliche Einnahmen- und Ausgabenpolitik oder anders gesagt: Wie gestalten wir die Steuerpolitik und sichern die Mechanismen der sozialen Sicherheit?
Sie haben den Debattentag am 13. Mai angesprochen. Wie werden dessen Inhalte und die Resultate transportiert?
Wir haben im Februar die Plattform wirdiewirtschaft.ch lanciert. Sie ist das Zuhause, der Hafen für die Initiative. Dort können sich die 58 für die Schweiz und die interessierte Öffentlichkeit über die Themen informieren. Wir haben diese im Blog aufbereitet. Über die gesamte Laufzeit von «Wir, die Wirtschaft» kommen verschiedene Stimmen in diversen publizistischen Formaten zu Wort – Expertinnen und Experten schreiben zu den Debattenthemen, Bürgerinnen und Bürger tauschen sich im Rendez-vous mit Unternehmensvertreterinnen und -vertretern zu einem Thema aus und die 58 äussern sich zu für sie relevanten Fragen. Das Herzstück, der Nukleus von «Wir, die Wirtschaft», ist jedoch das von den 58 am Debattentag Gesagte: Perspektivenvielfalt, persönliche Geschichten und Schlagworte in 21 Gruppendiskussionen zu sechs Themen. Wir zeichnen die Gespräche auf, werten sie nach wissenschaftlichen Standards aus und publizieren die Analyse als Studie gegen Ende dieses Jahres – freuen Sie sich jetzt schon darauf!
Gibt es einen Livestream oder eine Aufzeichnung?
Einen Livestream für die Öffentlichkeit gibt es nicht, eine Aufzeichnung aber schon in Form der Dokumentation der Gespräche. Jedes Gespräch wird anonymisiert transkribiert. Der Daten- und Persönlichkeitsschutz ist wichtig und gegeben.
Welche längerfristige Wirkung erhoffen Sie sich von dem Austausch und bleibt es bei einem Debattentag?
Mit «Wir, die Wirtschaft. 58 für die Schweiz» führen wir ein Format des «Active Listenings» ein. Damit leisten wir einen Beitrag an die Verständigung zwischen Wirtschaftsakteuren, konkret den Unternehmen, und den Einwohnerinnen und Einwohnern: Die Wirtschaft hört der Gesellschaft zu. Die Analyse der Gespräche bietet dazu eine Tiefenanalyse. Sie soll den wirtschaftspolitischen Kompass der Leute auf eine neue Art und Weise zeigen. Letztlich erhoffen wir uns, dass «Wir, die Wirtschaft. 58 für die Schweiz» eine positive Wirkung auf den Konsensfindungsprozess im Land haben wird. Wir können uns vorstellen, die Form des aktiven Zuhörens zu institutionalisieren. Denn es wird immer wieder neue Entwicklungen und Themen geben, die uns als Wirtschaft herausfordern. Da ist es gut, die Haltungen hinter Argumenten besser zu verstehen und am gegenseitigen Verständnis zu arbeiten.
«Wir, die Wirtschaft. 58 für die Schweiz»