News
25.04.2025

«Erfolgreiche GenAI-Implementierung ist kein Sprint, sondern ein strategischer Transformationsprozess»

Generative Künstliche Intelligenz (GenAI) revolutioniert die Finanzwelt. Banken, die die Chancen dieser Technologie erkennen und nutzen, können erheblich profitieren – vorausgesetzt, sie berücksichtigen auch deren Grenzen und Risiken. Ein aktueller Expertenbericht der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) fasst verschiedene Aspekte und Anwendungsbeispiele zusammen, um optimale Voraussetzungen für den Einsatz von GenAI in Banken zu schaffen. Matthias Plattner, Mitglied der Digitalisierungskommission von Julius Bär und der Fachkommission Digitalisierung der SBVg, sowie Richard Hess, Leiter Digital Finance bei der SBVg, erläutern im Gespräch die Hintergründe und Empfehlungen des Berichts.

Richard Hess (links) und Matthias Plattner im Gespräch.

Richard, was ist GenAI und was war der Auslöser für den Expertenbericht?

GenAI bezeichnet eine Klasse von Modellen der künstlichen Intelligenz (KI), die auf der Grundlage von Mustern, die sie aus grossen Datenmengen «gelernt» haben, neue Inhalte wie Text, Bilder und Audio generieren können. Die Einsatzmöglichkeiten für diese Modelle im Bankenumfeld sind vielfältig, bringen jedoch auch neue Risiken und Herausforderungen mit sich. Daher haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, diese näher zu beleuchten. Gemeinsam mit Fachexpertinnen und -experten aus verschiedenen Banken haben wir Best-Practice-Ansätze und potenzielle Risiken zusammengetragen und basierend darauf ein Framework entwickelt, das Banken strukturiert durch die Implementierung von GenAI führt. Dabei berücksichtigen wir strategische, organisatorische und technische Aspekte. Unser ganzheitlicher Ansatz zielt darauf ab, nicht nur Technologieexpertinnen und -experten, sondern auch Führungskräfte aus den Bereichen Business, Risk und Compliance anzusprechen.

Was sind die zentralen Erkenntnisse aus dem Bericht – und wie spiegeln sich diese in der Praxis einer Bank wie Julius Bär wider?

Richard: Erstens bietet GenAI grosses Potenzial zur Steigerung von Produktivität und Effizienz. Zweitens zeigt der Bericht, dass eine erfolgreiche Einführung mehr braucht als Technologie: Es geht um strategische Verankerung, Governance, Risikomanagement und vor allem um ein methodisches Vorgehen entlang klar definierter Phasen. Drittens: Die Risiken, etwa im Bereich Datenschutz oder Halluzinationen, also falsche oder erfundene Inhalte, sowie Drittanbieterabhängigkeit – sind real, aber beherrschbar. Und viertens: Der Erfolg hängt wesentlich davon ab, ob Mitarbeitende befähigt und mitgenommen werden. GenAI ist kein Projekt für ein Innovationsteam allein, sondern ein Kulturthema.

Matthias: Da wir uns aktiv an der Verfassung des Berichts beteiligt haben, deckt er sich mit unseren Erfahrungen. Für uns war es zu Beginn wichtig, sowohl eigene direkte Erfahrungen zu sammeln – meist durch sogenannte Proof-of-Concepts (PoCs) – als auch klare, messbare Ziele zu definieren, bevor wir mit der Implementierung in einer Programmstruktur begannen. Diese Ziele umfassten verschiedene Dimensionen wie Governance, Risiken, Technologieauswahl sowie Change-Management. Unabhängig davon halten wir das Thema «AI-Literacy» für entscheidend. Je nach Reifegrad und Wissenstand innerhalb der Organisation muss diesem Thema auf allen Stufen eine sehr hohe Priorität eingeräumt werden, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten die Möglichkeiten und Grenzen von KI-Technologien verstehen und effektiv nutzen können.

Die Implementierung ist also matchentscheidend. Auf was gilt es hier zu achten, gerade in der Praxis?

Richard: Entscheidend ist ein strukturiertes Vorgehen – vom Verständnis der Technologie über die Priorisierung der Use Cases bis hin zur Integration in Prozesse und Systeme. Governance, Datenschutz und Risikomanagement müssen von Anfang an mitgedacht werden. GenAI entfaltet erst dann sein volles Potenzial, wenn Strategie, Organisation und Technologie zusammenwirken.

Matthias: Um erfolgreich im Bereich KI-Technologien zu sein, benötigt man aus meiner Sicht zweierlei: Einerseits ein interdisziplinäres Team mit klaren Verantwortlichkeiten, um die Komplexität dieser Unterfangen erfolgreich zu meistern. Andererseits ist es wichtig, das Verständnis zu haben, dass wir uns noch am Anfang dieses Technologiezyklus befinden. Aufgrund der rasanten Entwicklungsgeschwindigkeit können Annahmen oder ausgewählte Technologien bzw. Provider schnell veralten. Entsprechend ist es aus unserer Sicht entscheidend, dass man keinen starren Fokus auf eine bestimmte Technologie oder einen bestimmten Provider entwickelt, sondern stattdessen eine möglichst flexible Plattform schafft, um sich an veränderte Marktbedingungen und neue Technologien anpassen zu können.

…hat sich durch GenAI der Arbeitsalltag in der Bank verändert?

Matthias: Wir sind noch weit davon entfernt, dass der Arbeitsalltag bei der gesamten Bank durch KI-Technologien verändert wurde. Dennoch nutzen viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits unsere interne GenAI-Applikation täglich, z.B. zum Übersetzen oder Formulieren von Textpassagen. Mittelfristig sehen wir grosses Potenzial in dieser Technologie, die die Arbeitsweise grundlegend verändern kann. Um dies erfolgreich umzusetzen, ist jedoch mehr als nur die Bereitstellung von Tools erforderlich: Wir müssen unser Verständnis für die Möglichkeiten von GenAI – heute und morgen – und ihre Grenzen immer besser verstehen.

GenAI geht in dem Fall nicht mit einem Stellenabbau einher?

Richard: Der Bericht zeigt klar: GenAI ersetzt keine Menschen, sondern ergänzt sie – insbesondere bei repetitiven, standardisierbaren Aufgaben. Im Zentrum steht nicht Effizienz um jeden Preis, sondern Entlastung, Qualitätssicherung und schnellere Entscheidungsprozesse. Natürlich verändern sich dadurch gewisse Rollenprofile – aber das heisst nicht automatisch Abbau. Entscheidend ist, dass Banken frühzeitig in Schulung, kulturellen Wandel und neue Aufgabenfelder investieren. Wer proaktiv umschult und weiterbildet, schafft Chancen und löst Unsicherheiten auf.

Matthias: Das ist auch unsere Erfahrung. Wir sehen GenAI als Assistenzsystem, nicht als Ersatz. Ja, gewisse Tätigkeiten werden sich stark verändern. Gleichzeitig entstehen auch ganze neue Anforderungen: Prompt-Kompetenz, KI-bezogene Qualitätssicherung oder das Verstehen von regulatorischen Anforderungen an automatisierte Systeme. Wir setzen deshalb bewusst auf Befähigung statt auf Verdrängung. Am Ende geht es um ein neues Zusammenspiel von Mensch und Maschine – nicht um ein Entweder-oder.

Wie wird sich GenAI weiterentwickeln?

Richard: Der Bericht zeigt auf, dass die nächste Etappe in Richtung «Agentic AI» führen kann, also KI-Systeme, die eigenständig planen, entscheiden und handeln. Damit steigen sowohl die Effizienzpotenziale als auch die Anforderungen an Governance und Kontrolle. Wir empfehlen deshalb ein vorsichtiges, iteratives Vorgehen mit klaren Regeln, Transparenzmechanismen und kontinuierlichem Monitoring. Die Implementierung von KI und GenAI ist kein Sprint, sondern ein strategischer Transformationsprozess.

Matthias: Wir gehen davon aus, dass die traditionellen GenAI-Modelle weiterhin verfeinert und spezialisiert werden. Als nächstes grosses Thema sehen auch wir die Entwicklung von «Agentic AI». Wenn wir noch weiter in die Zukunft blicken, erwarten wir eine Verschmelzung von GenAI mit herkömmlichen KI-Anwendungen, die möglicherweise unter dem Begriff «Neurosymbolic AI» bekannt wird.

Digital Finance & Cyber Security

Autoren

Richard Hess
Leiter Digital Finance
+41 58 330 62 51
Nirmala Alther
Senior Manager Themen & Media Relations
+41 58 330 62 39

Kontakt für Medienschaffende

Sind Sie Journalistin oder Journalist?
Unser Team steht Ihnen bei Fragen gerne zur Verfügung unter:
+41 58 330 63 35