Schweizer Markt für nachhaltige Anlagefonds reift weiter – auch dank Selbstregulierung
Trotz scheinbarem Desinteresse an Nachhaltigkeit zeigt der Schweizer Markt für nachhaltige Anlagefonds weiterhin Wachstum. Dank Selbstregulierung zur Bekämpfung von Greenwashing und Förderung von ESG-Präferenzen in der Anlageberatung bleibt Sustainable Finance in der Schweiz ein wichtiger Trend mit steigender Nachfrage bei Privatanlegern.
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Das Thema Nachhaltigkeit scheint aktuell nicht mehr «en vogue». Nach der Karriere, die der Begriff insbesondere in den letzten Jahren im Windschatten der Diskussion um den (menschengemachten) Klimawandel erfahren hat, ist das für erfahrene Beobachter auch kein Wunder. Dieser «issue-attention cycle» genannte Effekt hat der einflussreiche amerikanische Politökonom Anthony Downs schon 1972 beim Thema Umwelt festgestellt:
“Public perception of most “crises” does not reflect changes in real conditions as much as it reflects the operation of a systemic cycle of heightened public interest and then increasing boredom with major issues.”
Und in der Tat: Während die Aufmerksamkeit nachlässt und durchaus auch kleinere Erfolge erzielt wurden, ist dieses eine ökologische Thema weit von einer Lösung entfernt. Noch immer eilen wir von Temperaturrekord zu Temperaturrekord, die Extremwetterereignisse häufen sich und haben dabei bisher ungekannte Ausmasse. Das letzte Beispiel: Im spanischen Chiva fiel am 29. Oktober innert 8 Stunden mit 491 Millimeter mehr Niederschlag als der Durchschnitt von 456 Millimeter für ein ganzes Jahr.
Sustainable Finance: Ist der Ofen aus?
Eine ähnliche Zunahme von Desinteresse scheint sich auch auf dem Gebiet Sustainable Finance abzuspielen – sofern man Schlagzeilen selbst bei Qualitätsmedien Glauben schenkt. Gemäss NZZ vom 4. November 2024 stagnieren zum Beispiel «Grüne Investments. Und insbesondere die USA scheinen das Zurückschwingen des sprichwörtlichen Pendels zu bestätigen. Während der weltgrösste Asset-Manager Blackrock noch 2020 seinen Kunden geschrieben hat, “we believe that sustainability should be our new standard for investing", hat deren CEO Larry Fink vor nicht allzu langer Zeit festgestellt, dass ESG zu einem politischen Kampfbegriff geworden sei.
Heisst es also nun ”Time to say good-bye, sustainable finance?” Oder müssen wir sogar schon – wie die Financial Times es formuliert hat – fragen: “Who killed the ESG Party?” Wie so oft lohnt sich zur Beantwortung solcher Fragen der Blick auf harte Fakten zu richten anstatt auf Schlagzeilen, die eher der Bewirtschaftung von Aufmerksamkeit als der Wissensvermittlung dienen. Und hier sieht die Welt schon etwas anders aus. So ist die Entwicklung bei nachhaltigen Anlagefonds – als einem gerne herangezogenen Gradmesser des Interesses – gerade hinsichtlich der betrachteten Region sehr unterschiedlich. War in den USA in den vergangenen Quartalen durchaus ein Rückgang zu verzeichnen, hat sich in der Schweiz hingegen das Wachstum lediglich verlangsamt. Es ist aber – wie folgende Grafik zeigt – weiterhin positiv. Die Autoren der Sustainable Investments Studie 2024 der Hochschule Luzern schreiben denn auch: «Das Wachstum des Segments gleicht sich demjenigen der konventionellen Fonds an.»
Abbildung: Die jährlichen Nettomittelzuflussraten nachhaltiger versus konventioneller Publikumsfonds seit 2020. Quelle: Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) der Hochschule Luzern (2024)
Die Schweiz tickt anders
Der geneigte Leser könnte nun zum Schluss kommen, dass es wohl nicht allzu schlimm um Sustainable Finance in der Schweiz steht, aber das Thema wohl auch in der Schweiz an Bedeutung verliert. Ein vertiefter Blick in unterschiedliche Daten zeigt jedoch, dass auch diese Interpretation zu pessimistisch ist. Die Fondszahlen beinhalten auch viele ausländische Fonds, deren Anteile auch ausserhalb der Schweiz gekauft werden. Stellt man die Analyse nur auf diejenigen Anlagefonds ab, welche von inländischen Retailbanken aufgelegt wurden, zeigt sich ein sehr klares Bild: «Obschon nachhaltige Fonds im Produktsortiment der Schweizer Retailbanken aggregiert lediglich über einen Marktanteil von 56 Prozent verfügen […], sind insgesamt 87 Prozent der totalen Nettomittelzuflüsse in dieses Produktsegment geflossen. Dies deutet darauf hin, dass Privatanleger in den letzten zwölf Monaten bei der Neuallokation von Kapital nachhaltige vor konventionellen Fonds bevorzugt haben» (Sustainable Investments Studie 2024). Eine wichtige Ursache für diese Beobachtung dürfte die Selbstregulierung zur Bekämpfung von Greenwashing sein, welche die Schweizerische Bankiervereinigung, die Asset Management Association Switzerland und der Schweizerische Versicherungsverband lanciert haben.
Die Selbstregulierung «liefert» wie angekündigt
Schon bevor der Bundesrat am 16. Dezember 2022 seine Position betreffend das Thema Greenwashing publiziert hat, hatten die drei Branchenverbände das Thema aufgegriffen und im Rahmen einer freien Selbstregulierung praktikable Massnahmen in Anlehnung an FIDLEG definiert. Diese Massnahmen sollen verhindern, dass Kunden schlecht oder falsch beraten werden, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Kundinnen und Kunden werden nun nach ihren ESG-Präferenzen gefragt und die ihnen angebotenen Produkte und Dienstleistungen müssen damit in Einklang gebracht werden. Zudem bestehen auch Informations-, Dokumentations- und Rechenschaftspflichten im Zusammenhang mit der Erhebung von ESG-Präferenzen. Die Mitgliedsinstitute sind im Weiteren verpflichtet, ESG-Themen in die Aus- und Weiterbildung ihrer Kundenberaterinnen und -berater zu integrieren.
Dass dieser Weg schon jetzt als Erfolg einzustufen ist, belegen eben die vergleichsweisen hohen Flüsse bei den Schweizer Retailbanken. Zu diesem Schluss kommt auch die Sustainable Investments Studie 2024: «Ein Treiber für diese Entwicklung zugunsten nachhaltiger Fonds dürfte auch die neue Selbstregulierung der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) zur Berücksichtigung von ESG-Präferenzen in der Anlageberatung sein. […] Diese neue Regulierung dürfte einerseits dazu geführt haben, dass Retailbanken ihr Angebot an nachhaltigen Produkten ausgebaut oder in gewissen Fällen – siehe oben – vollständig auf Nachhaltigkeit umgestellt haben. […] Andererseits dürfte die obligatorische Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen schlicht dazu führen, dass ein höherer Anteil der Gelder in nachhaltige Produkte fliesst als vor der Pflicht – weil Banken ihre Kunden zwingend nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen fragen müssen.»
Ein weiterer Vorteil des Ansatzes der Selbstregulierung konnte dieses Jahr unter Beweis gestellt werden, als die «Richtlinien für die Finanzdienstleister zum Einbezug von ESG-Präferenzen und ESG-Risiken und zur Prävention von Greenwashing bei der Anlageberatung und Vermögensverwaltung» entsprechend den Vorgaben des Bundesrates in Rekordtempo angepasst und diese Änderungen am 1. September in Kraft gesetzt wurden.
Nicht nur bei der Anlageberatung, sondern auch bei Hypotheken
Weniger im Fokus, aber nicht minder erfolgreich hat sich die zweite Selbstregulierung der SBVg betreffend Nachhaltigkeit entwickelt. Die «Richtlinien für Anbieter von Hypotheken zur Förderung der Energieeffizienz» sehen vor, dass Anbieter von Hypotheken in der Beratung zur Immobilienfinanzierung die langfristige Werterhaltung und somit auch die Energieeffizienz des zu finanzierenden Gebäudes mit Kundinnen und Kunden thematisieren. Dadurch sollen die Kundinnen und Kunden für die Bedeutung energetischer Sanierungen sensibilisiert werden. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) stellt in seinem PACTA Climate Test Switzerland 2024 bereits eine signifikante Wirkung fest. Es führt die Zunahme von Erstbewertungen von Energieeffizienz sowie andere systematischen Massnahmen für alle Hypotheken durch die Banken selbst (und nicht erst auf Nachfrage seitens der Kundinnen und Kunden) auf die neu eingeführte Selbstregulierung zurück. Über 70% der teilnehmenden Banken gaben noch vor Inkrafttreten an, dass sie die SBVg-Richtlinien für Hypotheken bis spätestens 2024 vollständig umsetzen werden. Der gleiche Anteil gab an, dass alle ihre Berater und Beraterinnen die Richtlinien kennen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Feststellung eines leichten Spillover-Effektes auf Asset-Manager, Vermögensverwalter und Pensionskassen, welche diese SBVg-Richtlinien für Hypotheken für sich selbst übernommen haben oder noch beabsichtigen das zu tun.
Sustainable Finance – here to stay
Wie diese kurzen Ausführungen zeigen, sind Abgesänge auf Sustainable Finance nicht angebracht. Insbesondere in der Schweiz, die eine lange Historie und einige Pioniere auf diesem Gebiet vorweisen kann, hat sich die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten bei Bankdienstleistungen fest etabliert. Einerseits aufgrund einer signifikanten Nachfrage seitens Kundinnen und Kunden, was in dem Land, das Europameister beim Konsum von Bio-Produkten ist, auch nicht überraschen sollte. Andererseits weil die die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und Governance-Faktoren aus Risiko-, aber auch aus Chancenperspektiven für Banken sinnvoll ist – gerade in einer Welt, die immer mehr von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägt ist.