Meinungen
22.04.2020

SNB-Leitzins zwischen Hammer und Amboss

In den Monaten vor der Coronakrise war die Diskussion um Negativzinsen virulent. Zwei Studien zeigen nun, dass bei einer Normalisierung der Schweizer Franken nicht automatisch durchs Dach gehen muss. Im Moment ist aber zinspolitisches Stillhalten angesagt.
Beitrag vonMartin Hess

Die Coronakrise bringt es an den Tag. Die Zinspolitik der Schweizerischen Nationalbank befindet sich zwischen Hammer und Amboss. Der Hammer in Gestalt der Krisensymptome und der geldpolitischen Lockerungsübungen im Ausland schlägt den Leitzins kräftig nach unten. Bis auf den Amboss, der die Zinsuntergrenze markiert. Der Zinsatz bleibt deshalb unverändert bei -0.75%.

Keine weitere Zinssenkung

Zuerst zum Amboss: In ihren jüngsten geldpolitischen Entscheiden hat die SNB dezidierte Schritte zur bestmöglichen Unterstützung der Wirtschaft in der Coronakrise unternommen. Erfreulicherweise lässt sie dabei die Zinsen unangetastet. Dies zeigt, dass die SNB die Wirksamkeit einer weiteren Zinssenkung gemessen an den damit verbundenen Risiken als gering einschätzt. Die Preise würden kaum weiter stabilisiert und die Wirtschaft würde auch nicht gestützt. Einem Restaurant ohne Gäste nützt auch eine Senkung des Leitzinses nichts.

Mit ihren im März kommunizierten Massnahmen leistet die SNB genau den richtigen Beitrag zum gemeinsamen Corona-Massnahmenpaket von Behörden und Banken. Es ermöglicht den Banken, in dieser ersten Phase der Krise die KMU ausreichend mit Krediten zu versorgen, ohne sich in diesen schwierigen Zeiten selbst zu destabilisieren.

Nicht der Moment für eine Zinserhöhung

Und nun zum Hammer: Es ist absolut nicht so, dass aufgrund der Coronakrise die negativen Folgen der Negativzinsen mit einem Schlag verschwunden wären. Die in der Studie der Bankiervereinigung erwähnten Gründe gegen das Negativzinsregime sind nach wie vor triftig. Negative Zinsen bergen vorab zahlreiche strukturelle Stabilitätsrisiken.

Die SNB hat sich mit Blick auf den Wechselkurs bislang gegen einen Ausstieg aus den Negativzinsen entschieden. Sie rechnete noch Ende des vergangenen Jahres mit einer raschen und starken Aufwertung, falls die Zinsdifferenz zur Eurozone von negativ auf positiv umschlagen würde. Als Folge davon müssten eine negative Inflation und eine Konjunkturverlangsamung erwartet werden.

Erbauliche Forschungsresultate

Prof. Daniel Kaufmann von der Universität Neuenburg hat in einer von der Bankiervereinigung in Auftrag gegebenen Studie diesen Hammer, der die Zinsen tief hält, nun genauer untersucht. Dabei verwendet er verschiedene Szenarien für die Zinsentwicklung in der Schweiz und im Euroraum. In seiner Analyse kommt er zum Schluss, dass ein frühzeitiger Ausstieg aus der Tiefzinspolitik den Franken je nach Szenario um drei bis sieben Prozent aufwerten würde.

Damit kommt er zu einem ähnlichen Schluss wie eine jüngst erschienene Studie der SNB. Für die erste Dekade dieses Jahrhunderts zeigt die Studie in einem vergleichbaren Ansatz, dass eine einprozentige Zinserhöhung den Schweizer Franken um drei bis vier Prozent aufgewertet hätte.

Wenig überraschend gäbe es gemäss Kaufmann in verschiedenen Sektoren Verlierer und Gewinner. Während die exportorientierte Industrie unter einem Zinsanstieg leiden würde, wären binnenorientierte Branchen weniger betroffen oder profitierten von einer Normalisierung. Eine Zinserhöhung reduziert tendenziell aber die Wirtschaftsaktivität und die Konsumentenpreise.

Negativzinsen grundsätzlich nicht alternativlos

Dieser Schluss basiert jedoch auf der forschen Annahme, dass sich Zinsänderungen im negativen und positiven Bereich auf die Wirtschaft gleich auswirken. Kaufmann zeigt zudem Alternativen auf, die eine Normalisierung noch zusätzlich erleichtern würden. Als wirksamste Alternative bezeichnet er die Erhöhung des Inflationsziels. Erwartungen einer anziehenden Teuerung schlagen sich üblicherweise in höheren Zinsen nieder.

Die Resultate sind insofern beruhigend, dass bei einer gut kommunizierten, kontrollierten Normalisierung des Leitzinssatzes in einem geeigneten Zeitfenster der Wechselkurs nicht automatisch «durchs Dach» geht, wie oft befürchtet. Die Aufwertung sollte durchaus moderat bleiben.

Die aktuelle Coronakrise ist allerdings ein denkbar schlechtes Zeitfenster für eine Verschärfung der Geldpolitik. Gemäss einer Szenarioanalyse des Seco könnte es in diesem Jahr zu einem präzedenzlosen Einbruch des BIP von bis zu zehn Prozent kommen. Es gilt aber, sich von der Zinsuntergrenze – dem Amboss – zu lösen, sobald sich der Hammer anhebt und damit wieder zinspolitischer Spielraum entsteht.

Autoren

Martin Hess
Leiter Wirtschaftspolitik
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